„Haben wir bereits versucht. Das funktioniert bei uns nicht.“
Stell dir vor, du moderierst eine Sprint-Retrospektive und jeder im Team vertritt diese Meinung. Was dann?
Jetzt sind wir als Scrum Master gefordert. Denn nichts könnte schlimmer für uns sein, als wenn das Team immer und immer wieder die gleichen Maßnahmen beschließt. Bei der Umsetzung läuft es aber sprichwörtlich gegen verschlossene Türen. Irgendwann wird es aus Frust die Sprint-Retrospektive als Zeitverschwendung abtun.
Damit dir das nicht passiert, zeige ich dir drei Formate. Diese Formate haben mir immer geholfen, dieses Problem zu überwinden. Damit konnte ich den Teams zeigen, dass es immer etwas gibt, das wir verbessern können.
Los geht’s:
Format 1: „Cycle of Influence“
Manchmal müssen wir uns damit abfinden, dass Dinge so sind, wie sie sind. Meistens haben wir jedoch mehr Einfluss, als wir denken.
Der Professor und Autor Stephen R. Covey beschreibt diese Erkenntnis in seinem Buch „Die 7 Wege zur Effektivität“ mit seinem „Cycle of Influence“-Modell. Lass mich dir kurz sein Modell zusammenfassen und dann erkläre ich dir, wie du es als Format für deine nächste Retrospektive nutzen kannst.
Das Modell im Überblick: Es besteht aus drei ineinander liegenden Kreisen.
Kreis der Kontrolle: In diesem Bereich liegen alle Dinge und Themen, über die wir selbst entscheiden und auf die wir mit unseren Handlungen direkt Einfluss nehmen können. Wir haben hier die volle Kontrolle.Kreis des Einflusses: Hier können wir über viele Dinge, die uns beschäftigen, nicht direkt selbst entscheiden. Aber wir haben in diesem Bereich dennoch die Möglichkeit, durch unsere Handlungen Einfluss auf die Zustände zu nehmen.Kreis der Bedenken: Hierin befinden sich Themen, die uns zwar bewegen, die sich aber außerhalb unseres Einflussbereichs befinden. Genau diese sind emotional oft am schwersten anzuerkennen, weil wir uns ihnen gegenüber ohnmächtig fühlen. Dieser Kreis könnte somit auch der „Kreis der Sorgen“ heißen.
Wie kannst du den „Cycle of Influence“ nun für deine Retrospektive nutzen?
Hier meine Anleitung:
Bitte dein Team, alles, was ihre Teamleistung beeinflusst, zu sammeln und Notizen dazu zu erstellen.Zeichne drei Kreise auf ein Whiteboard und beschrifte sie mit „Kreis der Kontrolle“, „Kreis des Einflusses“ und „Kreis der Bedenken“. Dann erkläre die Kreise.Bitte nun die Mitglieder des Teams, die Notizen entsprechend anzuordnen. Dinge, die sie nicht beeinflussen können, kommen in den Kreis der Bedenken, Dinge, die sie etwas beeinflussen können, in den mittleren Kreis, und alles, worüber sie bestimmen können, in den Kreis der Kontrolle.Lade dein Team ein, sich Maßnahmen zu überlegen, wie sie die Dinge der äußeren Kreise weiter in die inneren Kreise verschieben können.
Zwei Bemerkungen zum letzten Schritt:
Auch wenn dein Team das Gefühl hat, es könne eh nichts ändern, hilft diese Visualisierung häufig, um doch noch Bereiche zu erkennen, in denen etwas verändert werden kann.Im letzten Schritt geht es nicht darum, Dinge außerhalb der Kontrolle direkt unter die Kontrolle des Teams zu bringen. Stattdessen solltest du dich fragen, welche Aspekte oder Teile davon wir vielleicht etwas beeinflussen könnten.
Format 2: Delegationspoker
Scrum kennt keine Hierarchien.
Es beschreibt nur die Verantwortung, die übernommen werden muss, damit Produktentwicklung erfolgreich sein kann. Insbesondere dann, wenn Dinge passieren, an die niemand vorher gedacht hat.
In jedem Unternehmen gibt es Hierarchien, und diese regeln, wer welche Entscheidungen trifft. Wird Scrum eingeführt, werden neue Rollen geschaffen, die noch nicht in der Hierarchie verankert sind. Was unweigerlich zur Frage führt: Was darf ein Product-Owner entscheiden, was dürfen die Entwickler entscheiden, was ein Scrum Master und was nicht?
Diese unklaren Verantwortungen führen zu Verwirrung. Sie verlangsamen die Entscheidungen. Außerdem führen sie dazu, dass sich die Mitglieder des Scrum Teams machtlos fühlen.
Deshalb sollst du als Scrum Master transparent machen, wer was entscheidet. Hierzu kannst du die Delegationslevel von Management 3.0 sehr gut nutzen.
(Quelle: https://management30.com/practice/delegation-poker/)
Hier eine kurze Zusammenfassung der Delegationslevel:
Verkünden: Das Management teilt dem Scrum Team mit, was es entschieden hat.Verkaufen: Das Management trifft die Entscheidung und versucht, das Scrum Team davon zu überzeugen, dass es die richtige Entscheidung ist.Befragen: Das Management entscheidet nach Rücksprache mit dem Scrum Team.Einigen: Das Management und das Scrum Team treffen die Entscheidung gemeinsam.Beraten: Das Scrum Team trifft die Entscheidung nach Rücksprache mit dem Management.Erkundigen: Das Scrum Team trifft die Entscheidung und das Management bittet das Scrum Team, informiert zu werden.Delegieren: Die Entscheidung wird vollständig an das Scrum Team delegiert.
Nachdem du die 7 Delegationslevel kennst, kannst du sie verwenden, um eine Retrospektive zu moderieren. Das geht so:
Lade sowohl die Mitglieder des Scrum Teams als auch die Stakeholder wie disziplinarische Führungskräfte, Projektleiter, Manager usw. ein.Erstellt gemeinsam eine Liste von Entscheidungen, die bei der Arbeit am Produkt getroffen werden.Geht nun eine Entscheidung nach der anderen durch und bitte alle Anwesenden, ein Delegationslevel für diese Entscheidung zu wählen. Wichtig: So wie im Moment die Entscheidung getroffen wird. Die Wahl soll jeder verdeckt treffen.Nachdem jeder heimlich ein Level gewählt hat, werden die Level gleichzeitig verkündet.Sollte es unterschiedliche Einschätzungen geben, dann hilf der Gruppe, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Wichtig: Wir wollen den Status Quo sichtbar machen.Nun wählt die nächste Entscheidung der Liste.
Das Resultat dieses Workshops ist eine Liste mit Entscheidungen und Klarheit darüber, wer die Entscheidung trifft. Das Ergebnis gleicht einer Matrix. Diese Erkenntnis kannst du nun in der Retrospektive weiter nutzen.
Hierfür hast du zwei Möglichkeiten:
Du kannst deinem Team helfen, Verbesserungen zu finden, die im Entscheidungsrahmen des Teams liegen. Ähnlich wie beim „Cycle of Influence“.Du kannst mit den Stakeholdern des Teams arbeiten und Entscheidungen suchen, bei denen das Team mehr Entscheidungsgewalt erhält.
Die letzten beiden Formate lassen sich auch gut kombinieren.
Zum Abschluss noch ein anderer Ansatz:
Format 3: White-Elephant-Prinzip
Die ersten beiden Formate helfen dir, mögliche Einflussbereiche transparent zu machen. Sie zeigen dem Team somit mögliche Wirkungsfelder auf, die noch verborgen waren.
Das dritte Format funktioniert etwas anders.
Es nutzt die Prämisse, dass es immer etwas zu verbessern gibt.
Du kennst es vielleicht unter dem Namen „Magic Estimation“ oder „Planning Poker“. Das Prinzip dahinter nennen wir White-Elephant-Prinzip.
Hier die Schritte, wie du es für deine Retrospektive nutzen kannst:
Erstelle eine Skala auf einem Whiteboard. Beschrifte die Enden der Skala mit „am wenigsten effektiv“ und „am effektivsten“.Bereite eine Handvoll Karten mit Dingen vor, die verbessert werden könnten.Nun wählen die Mitglieder im Team abwechselnd eine Karte aus. Der Teilnehmer, der an der Reihe ist, liest der Gruppe den Inhalt der Karte laut vor. Anschließend ordnet er die Karte auf der Skala dort an, wo er sie für am geeignetsten hält, und begründet dies. Dafür hat er eine Minute Zeit. Die anderen Mitglieder hören nur zu.Wenn alle Karten gelegt wurden, können auch die bereits platzierten Karten neu positioniert werden. Dabei gilt weiterhin: Nur wer an der Reihe ist, darf sprechen, alle anderen hören ausschließlich zu.Sind alle Karten gelegt und ist jeder im Team mit der Position zufrieden, ist die Aktivität abgeschlossen. Das Resultat ist eine geordnete Liste.
Bei dieser Übung kann es zu vielen Sonderfällen kommen. Diese entstehen erst, wenn du die Übung selbst durchführst. Wenn du die Übung im Detail erlernen willst, dann besuche mein nächstes „Professional Scrum Facilitation Skills“-Training. Unter der Anleitung von Marc Kaufmann und mir hast du dort viel Zeit, um dir alle Sonderfälle anzusehen.
Warum hilft dieses Format Scrum Teams dabei, wieder wirkungsvoller zu werden?
Ich vertraue dir den Trick an:
Wir sind mit der Prämisse gestartet, dass es immer etwas zu verbessern gibt. Und das Format macht dieses Potenzial durch die Anordnung sichtbar. Am Ende wird es Karten geben, die nahe bei „am wenigsten effektiv“ liegen, und Karten, die bei „am effektivsten“ liegen. Oder nochmal in anderen Worten: Es gibt Dinge, die für dein Team noch nicht funktioniert haben oder nicht so effektiv sind.
Damit hast du etwas gefunden, was im nächsten Sprint verbessert werden kann. 🤓