👋 Hi! Ein kurzer Hinweis: Am Mittwoch, um 17:00 gebe ich ein kostenloses Webinar „Evidence-Based Management: Funktioniert Scrum in deinem Unternehmen?“. Hier geht es zur Anmeldung. Nun zum Artikel und der Frage:
Wie kannst du dich als Scrum Master weiterbilden?
Probiere Techniken aus, sammle Erfahrungen und festige dein Wissen durch Reflexion. Du kannst außerdem Schulungen oder Trainings besuchen und neue Fertigkeiten unter Anleitung von erfahrenen Trainern erlernen.
Oder lies ein Buch zu der Thematik.
Trotz Suchmaschinen, Social Media und YouTube finde ich Bücher nach wie vor eine hervorragende Möglichkeit zur Weiterbildung. Bücher zu lesen verlangsamt meine Gedanken und ermöglicht es mir, ein Thema tiefer zu ergründen. Spreche ich dann noch über das Gelesene mit anderen Scrum Mastern, etwa in einem Buchklub im Rahmen einer Community of Practice, dann ist das die perfekte Ergänzung zu einem Learning by Doing und den Schulungen.
In diesem Artikel stelle ich dir die Top 3 meiner Bücher vor, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe. Was sie alle vereint: Sie haben weder „Scrum“ im Titel, noch befassen sie sich direkt mit Scrum. Allerdings haben sie mir als Scrum Master geholfen, mehr über Coaching, Organisationsentwicklung und Produktmanagement zu lernen.
Beginnen wir mit dem Aspekt des Coachings:
How Minds Change: The New Science of Belief, Opinion and Persuasion von David McRaney
Wusstest du, dass du durch eine spezielle Interviewtechnik die Zustimmung der Wähler zur Aufnahme von Einwanderern ohne Papiere in die Gesundheitsversorgung in den USA um acht Prozent steigern könntest?
Wahrscheinlich reißt dich dieses Studienergebnis erst einmal nicht vom Hocker. Als ich das las, dachte ich mir: „Acht Prozent klingt nicht viel.“
Aber jetzt kommt es: Wissenschaftler der Universitäten Berkeley und Stanford haben 49 Studien durchgeführt und damit nachgewiesen, dass durch Werbekampagnen oder Flugblätter so gut wie kein Wähler von einer Sache überzeugt werden konnte. Dies galt vor allem, wenn die neue Meinung der vorherrschenden Meinung des Wählers widersprach.
Jetzt erscheint diese spezielle Interviewtechnik in einem anderen Licht.
Die Technik heißt Deep Canvassing und wurde von dem Begründer Dave Fleischer folgendermaßen beschrieben:
„Deep Canvassing wurde nicht erfunden, sondern entdeckt.“
Dieser einzigartige Ansatz für einen Interviewprozess wurde in Tausenden Interviews mit Wählern erprobt und durch Videoanalysen über Jahre verfeinert. Seit mehr als dreißig Jahren arbeitet Fleischer als Kampagnenmanager, Community-Organisator und Berater für LGBTQ-Kandidaten und -Organisationen.
Er bezeichnet sich selbst als professionellen Meinungsbildner.
Die Entdeckungsgeschichte von Deep Canvassing beschreibt David McRaney in seinem Buch How Minds Change: The New Science of Belief, Opinion and Persuasion. Dabei ist Deep Canvassing ein strukturiertes Interview, das lange, empathische Gespräche nutzt, um die Überzeugungen der Teilnehmer zu ändern. Spätestens jetzt wirst du erkannt haben, warum mich diese Technik als Scrum Master so fasziniert. Allerdings kann ich deinen Einwand auch schon förmlich hören.
„Als Scrum Master will ich niemanden beeinflussen oder manipulieren.“
Ist das wirklich so? Werden wir als Scrum Master nicht gerade dafür von einem Unternehmen beauftragt, die Mitglieder des Scrum-Teams für agiles Arbeiten zu begeistern? Für mich ist das eine Form der Beeinflussung. Dabei zwinge ich jedoch niemanden, Scrum zu nutzen. Denn ein Scrum Master ist ein Servant Leader. Ich versuche, Teams und Unternehmen, mit denen ich arbeite, für die Vorteile von Scrum zu begeistern, und ich lade sie ein, Scrum mit mir als ihr Begleiter zu entdecken.
Und genau hierfür gibt Deep Canvassing ein strukturiertes Vorgehen an die Hand:
David beschreibt den Prozess als „eine angeleitete Metakognition […]: Eine Person soll ermutigt werden, über ihr eigenes Denken nachzudenken, aber erst, nachdem sie bereits ihre eigenen Überlegungen angestellt hat, um eine Meinung zu bilden.“
Dieser einfache, aber wirkungsvolle Ansatz, Gespräche über Veränderung empathisch zu führen, ist für mich die Erkenntnis dieses Buches. Deep Canvassing ist somit eine gute Ergänzung deines Coaching-Werkzeugkastens. Es lässt sich insbesondere für das Coaching von Einzelpersonen nutzen.
Willst du ein Unternehmen mit vielen Mitarbeitern verändern?
Dann empfehle ich dir, dich eher aus dem Werkzeugkasten der Organisationsentwicklung zu bedienen. Hierbei solltest du dich auf wissenschaftlich fundierte Ansätze verlassen und nicht auf wilde Trends setzen (ich denke hier an das Spotify-Modell).
Zu dem entsprechenden Buch kommen wir jetzt:
What Your Employees Need and Can’t Tell You: Adapting to Change with the Science of Behavioral Economics von Melina Palmer
Change-Management hat ein Problem:
Wusstest du, dass jeder Mensch im Durchschnitt 35.000 Entscheidungen pro Tag trifft? Etwa die Hälfte dieser Entscheidungen treffen wir bei der Arbeit.
Wie können wir eine solche Menge an Entscheidungen treffen?
Erinnerst du dich daran, dass du gestern 17.500 Entscheidungen bei der Arbeit getroffen hast? Wahrscheinlich nicht. Denn etwa 40 bis 95 Prozent der Entscheidungen treffen wir unterbewusst und routinemäßig – wir entwickeln Gewohnheiten.
Die Autorin und Verhaltensökonomin Melina Palmer schreibt dazu in ihrem Buch:
„In jedem dieser Fälle löste eine Assoziation im Gehirn eine Handlung (oder den Wunsch zu handeln) aus. Laut der Gewohnheitsexpertin Wendy Wood ist das im Grunde alles, was eine Gewohnheit ausmacht – eine mentale Abkürzung, die wir lernen, wenn wir unser Verhalten auf eine Weise wiederholen, die zuverlässig eine Art von Belohnung hervorbringt.“
Warum ist das problematisch für herkömmliches Change-Management?
Weil Manager Veränderung oft als ein einmaliges Projekt betrachten, welches im kleinen Kreis von Führungskräften behandelt wird. Anschließend wird es mit einer unpersönlichen E-Mail an die Belegschaft verkündet. Danach wird erwartet, dass sich alle Mitarbeiter nach der neuen Strategie ausrichten. Das ist ein großer Fehler, denn damit ignorieren sie Millionen von gewohnheitsmäßigen Entscheidungen.
Soll heißen: Die Mitarbeiter treffen Entscheidungen, die nicht im Einklang mit der neuen Strategie stehen, ohne es selbst zu merken, da diese Entscheidungen unterbewusst getroffen werden.
Melina Palmer rät uns deshalb:
„Jedes Gespräch und jede Interaktion bei der Arbeit ist eine Initiative zur Veränderung. Da wir uns in einem Umfeld bewegen, in dem es viele Veränderungen gibt, befinden wir uns immer im Kielwasser von Veränderungen, die bereits stattgefunden haben, von solchen, die aktiv stattfinden, und von anderen, auf die wir uns vorbereiten müssen.“
Spätestens mit diesem weiteren Zitat erkennst du, warum ich dieses Buch so hilfreich für Scrum Master erachte:
„Deshalb sage ich [Melina Palmer], dass die Hauptaufgabe einer Führungskraft darin besteht, die Mitarbeiter durch den Wandel zu führen.“
Und dieser Wandel hört nie auf. Tagtäglich treffen wir Entscheidung für Entscheidung. Da ich daran glaube, dass Scrum Master die Führungskräfte von morgen sein werden, müssen wir uns fragen:
Wie können wir die Mitglieder im Team durch den stetigen Wandel führen?
Hierzu müssen wir verstehen, wie wir unterbewusst entscheiden.
Bei vielen unterbewussten Entscheidungen wird die Realität durch Fehler unseres Gehirns verzerrt. Somit sind nicht alle unterbewussten auch gute Entscheidungen. Ein Beispiel hierfür: Das menschliche Gehirn ist so verdrahtet, dass es uns glauben lässt, wir seien einzigartig.
Dieser „Fehler“ unseres Gehirns hat zwei Auswirkungen:
Sind wir erfolgreich, unterschätzen wir, wie viele andere genauso erfolgreich sind.Bei einem Misserfolg überschätzen wir, wie vielen anderen es ähnlich ergeht.
Liest du also regelmäßig Bücher, um dich weiterzubilden – besonders die drei, die ich dir hier empfehle – dann könnte dich dein Gehirn zu dem Schluss kommen lassen, dass dies ungewöhnlich ist und du einer der Wenigen bist, die sich mit Büchern weiterbilden. Dieser kognitive Fehler könnte dann dazu führen, dass du deine Kollegen nicht auf die Bücher ansprichst und sie nicht fragst, ob sie einen Buchklub gründen wollen. Für deine Weiterentwicklung und die Lernkultur im Unternehmen wäre das eine schlechte Entscheidung, hervorgerufen dadurch, dass dein Gehirn dir die Realität verzerrt und dich glauben lässt, du seist der Einzige, der die Bücher gelesen hast.
Die unterbewusste Verzerrung der Realität durch unser Gehirn führt dazu, dass wir schlechte Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen geschehen unterbewusst. Das heißt: Sie können dem Unternehmen nicht nur schaden, sondern passieren auch ungeachtet der neuen Change-Strategie.
Wie können wir diesen Fehler unseres Gehirns vermeiden?
Damit dieser Fehler nicht jeder Person im Unternehmen unterläuft, empfiehlt uns Melina Palmer, „Nudges“ in der Organisationsentwicklung zu nutzen.
Ein „Nudge“, also ein Anstoß in der Verhaltensökonomie, entspricht dem, was du denkst: ein sanftes Antippen – eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen oder Dinge wieder in die richtige Bahn zu lenken. Dieses Konzept basiert auf der Arbeit von Richard Thaler, der 2017 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt.
Wie fließen diese Erkenntnisse in meine Arbeit als Scrum Master ein?
Hier ein Beispiel:
In Gruppendiskussionen wird jeder im Team zunächst dazu angehalten, eine Minute in Stille zu reflektieren und seine Ideen aufzuschreiben. Damit versuche ich, „Gruppendenken“ – eine weitere kognitive Verzerrung, die im Buch What Your Employees Need and Can’t Tell You: Adapting to Change with the Science of Behavioral Economics beschrieben wird – zu verhindern.
Zum Abschluss noch ein Buch zu einem Thema, dem Scrum Master leider häufig weniger Beachtung schenken: Produktmanagement.
Der Mom Test: Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist, auch wenn Sie dabei jeder anlügt von Rob Fitzpatrick
Warum solltest du nicht auf deine Kunden hören?
Im Herbst 2022 führte Scrum.org ein neues Training ein: Professional Scrum Facilitation Skills. Ich gehörte zu den ersten Trainern, die es angeboten haben.
Ein häufiges Feedback der Teilnehmer nach jedem Training lautet: „Dem Training gebe ich 9 von 10 Punkten.“ Auf die Frage: „Was würde das Training besser machen?“, bekam ich die Antwort: „Eine volle 10 gäbe es, wenn das Training auf zwei Tage verteilt wäre und in Präsenz stattfände.“ Diese Antworten wollte ich besser verstehen und lud deshalb ehemalige Teilnehmer zu Interviews ein. Ich stellte ihnen folgende Frage:
„Würdest du bei einem zweitägigen Training zwei Vormittage oder zwei Nachmittage als Trainingsformat bevorzugen, und warum?“
Eine der häufigsten Antworten lautete, dass sie bei den Nachmittagsterminen nicht ganz aus dem Arbeitsalltag gerissen würden. Außerdem würde keine Arbeit liegen bleiben. Da ich diese Punkte als glaubhaft erachtete, änderte ich meine Strategie und bot das Training infolge über zwei Nachmittage verteilt an.
Dann fiel die Anmeldezahl rapide.
Von anfänglich zwölf Teilnehmern im Training meldete sich nur noch die Hälfte an. Natürlich kann es dafür viele Gründe geben: mangelndes Schulungsbudget, steigende Lebenshaltungskosten, kein Interesse an Facilitation. Wir könnten die Liste bestimmt endlos weiterführen. Aber der Punkt, auf den ich hinauswill, ist einfach:
Bei Kundeninterviews sollten wir die Antworten niemals für bare Münze nehmen. Wir sollten nicht den Fehler machen, alle Verbesserungen blind umzusetzen.
Diese Erkenntnis hat auch Rob Fitzpatrick gehabt, als er sein Unternehmen gründete. Diese Erfahrung hat er in einem Buch „Der Mom Test“ zusammengefasst. Mehr noch: Anstatt uns nur davor zu warnen, niemals unsere Mutter zu fragen, ob unsere Geschäftsidee lohnenswert ist, gibt er eine bessere Anleitung. Er erläutert, was wir stattdessen fragen sollen. Wir sollten Fragen stellen, bei denen es unmöglich ist, uns anzulügen.
Hier eine Kostprobe aus dem Buch:
„Wir könnten fragen:
‚Was müsste das Produkt deiner Träume können?‘
Allerdings ist das eine schlechte Frage. Denn die Leute kennen ihre Probleme, aber sie wissen häufig nicht, wie sie diese Probleme lösen können. Besser wäre diese Frage:
‚Führe mich gedanklich durch deine Arbeitsschritte.‘“
Laut Rob Fitzpatrick ist diese Frage aus einem guten Grund besser: Wenn du jemanden bei der Ausführung einer Aufgabe beobachtest, erkennst du die tatsächlichen Probleme und Schwachstellen – im Gegensatz zu dem, was der Kunde glaubt, wo die Probleme liegen.
Wenn wir den Preis unseres Produkts bestimmen wollen, könnten wir fragen:
„Wie viel würdest du für X bezahlen?“
Allerdings ist diese Frage schlecht. Rob Fitzpatrick schreibt zu dieser Frage: „Leute lügen dir das vor, was du hören möchtest.“
Deshalb wäre eine bessere Frage:
„Was hast du sonst noch ausprobiert?“
Diejenigen, die bereits nach einer Lösung suchen, werden auch auf dein Produkt stoßen und es vielleicht kaufen. Wenn du die Konkurrenzprodukte kennst, kannst du dir die Preise ansehen und anschließend überlegen, wie du dein eigenes Angebot im Vergleich positionierst.
Folgende Erkenntnis habe ich aus diesem Buch gezogen:
Beim Produktmanagement geht es um die kleinen Details. Auch wenn oft über die große Strategie gesprochen wird, ist eine Sache entscheidend: Wenn du die Details vermasselst, wirst du nicht lange genug am Markt sein, um zu erleben, ob deine Strategie aufgeht.
Das Wissen um diese Details hilft uns als Scrum Master, den Product Owner unserer Teams langfristig zu unterstützen.
Mittlerweile ist das Buch Der Mom Test: Wie Sie Kunden richtig interviewen und herausfinden, ob Ihre Geschäftsidee gut ist, auch wenn Sie dabei jeder anlügt von Rob Fitzpatrick ein Klassiker im Bereich Produktmanagement und Start-up-Literatur. Es dient als Standardwerk in Harvard, MIT und der UCL.
Eine Bitte: Unterstütze die „Scrum Impulse“-Gemeinschaft
Der Artikel empfiehlt Scrum Mastern drei Bücher. Wie hilfreich wäre er wohl, wenn er zehn Bücher vorstellen würde?
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