Wenn Du in all dem noch neu bist, fragst Du Dich vielleicht: Worum geht es bei Agilität überhaupt? Wie können Organisationen oder Teams davon profitieren, agiler zu werden?

Um zu verstehen, was Agilität ist, müssen wir uns mit der traditionellen Herangehensweise befassen.
In der Vergangenheit und auch heute noch verfolgen viele Projekte / Teams einen plangesteuerten Ansatz. Ein plangesteuerter Ansatz bedeutet, dass Ihr zu Beginn mit Eurem Kunden zusammenkommt, eine Vision davon entwickeln, was der Kunde will und braucht, und dann von Anfang bis Ende einen detaillierten Plan erstellt, wie man dorthin gelangt. Dann arbeiten verschiedene Personen (z. B. der Designer, der Entwickler, der Tester) nacheinander am Produkt und erledigen dabei alles, was in ihrem Fachgebiet erforderlich ist, bevor sie ihre Arbeit an die nächste Person oder das nächste Team übergeben, das dann ihrerseits daran arbeitet. Am Ende wird das Produkt dem Kunden präsentiert. Dieser Ansatz wird „Wasserfall“ genannt, denn sobald der Plan erstellt ist, gibt es kein Zurück mehr. Man kann doch nicht einen Wasserfall hinaufsteigen, oder? Das Projekt fließt einfach „abwärts“ von einer Fachperson zur nächsten.

Schauen wir uns den bestmöglichen Fall an: Ihr habt genau das richtige Produkt entwickelt, das den Bedürfnissen und Wünschen Eurer Kunden entspricht, was bedeutet, dass es für Ihren Kunden einen großen Wert hat. Der Kunde ist zufrieden, Ihr seid zufrieden. Großartig!
Scheint vernünftig, oder? Warum sollten wir das ändern? Nun ja … das war der beste Fall. Im schlimmsten Fall habt Ihr viel Arbeit, Zeit und Geld in die Entwicklung eines Produkts investiert, das nicht den Bedürfnissen und Wünschen Eurer Kunden entspricht. Ihr habt also im Laufe der Zeit ein hohes Risiko angehäuft und könnt am Ende nicht viel Wert vorweisen. Deshalb sollten wir uns die zugrunde liegenden Probleme des „Wasserfalls“ genauer ansehen.

Bei einem plangesteuerten Ansatz geht Ihr zunächst davon aus, dass
a) Ihr das Problem oder die Bedürfnisse der Kunden vollständig verstanden habt 
b) Ihr verfügt im Voraus über alle Informationen, die für die Erstellung des Produkts erforderlich sind
c) Auf dem Weg wird nichts Unvorhersehbares passieren.
Wenn die Leute immer genau verstehen würden, was Sie brauchen, hätte Dein Partner gestern gefrorenes Basilikum und kein getrocknetes Basilikum gekauft, als Du ihn oder sie zum Einkaufen geschickt hast. War das nicht ganz klar, als Du geschrieben hast: „Bitte bring Basilikum mit“. Anscheinend nicht … Hätte man vorher immer alle Informationen gehabt, wäre einem klar geworden, dass man tatsächlich frischen Basilikum braucht, damit das neue Rezept funktioniert. Aber jetzt ist Sonntag und in Deutschland sind die Geschäfte sonntags geschlossen. Ist denn die Welt immer völlig vorhersehbar? Bist Du eine Wahrsager:in? Leider bin ich es nicht …
Zusammenfassend lässt sich sagen: Bei einem plangesteuerten Ansatz triffst Du die meisten Entscheidungen, wenn Du über das geringste Maß an Wissen verfügst! Und darüber hinaus wissen wir, dass Wissen bei der Weitergabe zu anderen Personen oder Teams verloren geht. Bei jeder Weitergabe gehen etwa 50 % der Informationen verloren. Es ist im Grunde wie  das Kinderspiel „Stille Post“. Bei der Übergabe an Person Nummer 4 sind etwa 87 % der Informationen verloren. Kannst Du Dir das vorstellen?!

Hier kann Agilität uns viel besser helfen! Laut Oxford-Wörterbuch bedeutet das Wort agil „sich schnell und einfach bewegen können“. Bei einem agilen Vorgehen akzeptieren wir, dass 

wir nicht alle Informationen im Voraus haben können, auf dem Weg unvorhersehbare Dinge passieren werden und wir jederzeit in der Lage sein müssen, unseren Plan und unseren Prozess „schnell und einfach“ anzupassen!
Wenn Ihr agil arbeitet, verändert Ihr zwei wichtige Dinge:
1) Du und Deine Kolleg:innen arbeiten nicht mehr getrennt und nacheinander – Sie übergeben nicht mehr Ihre Arbeit an die nächste Person –, sondern bilden stattdessen ein Team, das von Anfang bis Ende zusammenarbeitet. Auf diese Weise profitieren alle vom Wissen des anderen, lernen gemeinsam und verlieren nicht all diese Informationen aufgrund von Übergaben.

2)  Anstatt wie bei einem plangesteuerten Ansatz im Vorfeld einen detaillierten Plan von A bis Z zu erstellen, geht Ihr Schritt für Schritt vor. Ihr arbeitet iterativ und inkrementell. Als Team entscheidet Ihr, was und wie Ihr etwas zuerst baut. Aber es ist nur ein kleiner Teil, einfach nur ein Feature des Produkts. Dann zeigt ihr das Feature euren Kunden um Feedback einzuholen. Durch die Rückmeldungen der Kunden versteht Ihr deren Probleme oder Bedürfnisse immer besser. Man baut nicht aus Versehen etwas, das am Ende für die Kunden keinen großen Wert hat. Mit dem Feedback passt ihr die bereits erstellten Features an, passt euren Plan an, und baut den nächsten kleinen Teil / Feature. Und so kommt ihr Schritt für Schritt voran und könnt immer wieder den Kurs aufgrund der neuen Erkenntnisse anpassen. Man spricht auch von einem wertorientierten Ansatz, weil im Fokus der Mehrwert für Eure Kunden steht. In der Softwareindustrie werden etwa 50 % aller Features am Ende nicht verwendet. Wahnsinn, oder: Die Hälfte des Produkts hat im Grunde keinen Wert für die Kunden! Genau das gilt es zu vermeiden, indem ihr zeitnah die Features / und euren Plan aufgrund des Kundenfeedbacks anpasst. 

Kurz und gut: Bei einem agilen Vorgehen, fokussiert ein selbst organisiertes Team auf den Wert für den Kunden, der iterativ und inkrementell erstellt wird. 

Die entscheidende Frage ist also: könnt ihr alles im Vorfeld vorhersagen? Wenn ja, dann ist ein plangesteuerter Ansatz durchaus sinnvoll, ansonsten kann euch ein agiles Vorgehen helfen. 

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