Scrum Master investieren zu viel Zeit in das Lernen von Methoden, Prozessen und Rahmenwerken.

Ich schließe mich selbst dabei nicht aus!

Wenn ich auf die ersten Jahre meiner Karriere als Scrum Master zurückblicke, muss ich zugeben, dass mir dieses Wissen in meiner täglichen Arbeit als Scrum Master nur begrenzt geholfen hat. Wenn mich zum Beispiel Führungskräfte ansprechen und um Hilfe bei der Aufteilung des Teams in kleinere Spezialistengruppen bitten, um weniger Zeit mit Abstimmungen zu verbringen. Oder wenn mir Entwickler sagen, dass Firewall-Regeln die Videofunktion blockieren und sie deshalb die Kamera im Stand-up nicht anschalten können. Oder wenn mich der Chief-Product-Owner bittet, ein Meeting mit den Epic-Ownern zu moderieren, um sicherzustellen, dass die Meilensteine eingehalten werden. In diesen Situationen wird mir das Zitieren der Regeln des Scrum Rahmenwerks oder das Erklären des Unterschieds zwischen LESS und Nexus nicht helfen.

Sagen wir: „Das ist nicht agil!“, wird uns die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Als Scrum Master, der für die Veränderung im Unternehmen verantwortlich ist, benötigen wir jedoch offene Türen. Offene Türen sind die Voraussetzung für den Dialog. Nur der Dialog schafft Veränderung. Das Öffnen von Türen beginnt bei uns selbst. Wir öffnen sie, indem wir für andere offen sind. Für ihre Situation, ihre Perspektiven, ihre Einschätzungen und ihre Entscheidungen.

Aber was bedeutet „offen sein“ eigentlich? Offen sein ist unkonkret und vage. Deshalb ist es auch schwer umzusetzen. Wenn es dir wie mir geht, dann ist der Reflex, deinem Gesprächspartner Ratschläge geben zu wollen, oft sehr ausgeprägt. Leider sind Korrekturen, Bewertungen und Ratschläge das Gegenteil von Offenheit. Dieser Reflex kann jedoch umtrainiert werden. Im Austausch mit vielen Scrum Mastern habe ich drei Sätze entwickelt, die ich mir in solchen Gesprächssituationen immer wieder sage. Durch das gebetsmühlenartige Wiederholen dieser Sätze kann ich kurz durchatmen und offener auf die Situation meines Gesprächspartners zugehen.

Daher bezeichne ich sie als meine drei Mantras:

Mantra 1: Jeder war mal ein Anfänger.

Ich schloss die Tür hinter mir.

Da ich der Letzte war, der den Raum betreten hatte, konnte das Review zum Sprint beginnen. Am Kopf des Tisches saß der Product Owner und teilte seinen Bildschirm an einem großen Surface-Hub. Gegenüber saßen die Entwickler. Gemeinsam gingen sie eine Story nach der anderen in Jira durch und schlossen sie, wenn die Arbeit in diesem Sprint fertiggestellt worden war.

So lief das erste Review bei einem Team, das ich vor einigen Jahren begleitet habe, ab.

Im Anschluss fragte mich der Product Owner enthusiastisch: „Und wie fandest du unser Review?“ Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen: „Ohne Stakeholder im Meeting war es kein Review!“ Stattdessen sagte ich mir: „Jeder war mal ein Anfänger.“ Dieser kleine Satz half mir, die Situation aus anderen Augen zu sehen. Er erinnerte mich daran, dass auch bei meinem ersten Review, das ich organisiert hatte, keine Stakeholder anwesend gewesen sind.

Etwas Demut hilft mir, offen für die Situation anderer zu sein, und das Mantra „Jeder war mal ein Anfänger“ erinnert mich daran.

Mantra 2: Ich weiß noch nicht, wie, aber das Team wird es herausfinden.

Anfang dieses Jahres habe ich einen Workshop für einen Kunden moderiert.

Der Auftrag lautete, die Grundlagen von Scrum zu wiederholen und einem großen Team von rund 20 Entwicklern dabei zu helfen, den richtigen Teamschnitt zu finden. Dabei wurde ich gefragt, wie die Teams am besten strukturiert werden sollten. Mein erster Impuls: „Scrum Teams müssen interdisziplinär sein und alle Fähigkeiten im Team haben, um ein Inkrement zu entwickeln und zu liefern.“ Dieser Ratschlag ist lehrmeisterhaft und wenig hilfreich, wenn wir ehrlich sind. Ich widerstand ihm, indem ich mir in solchen Situationen immer sagte: „Ich weiß noch nicht, wie, aber das Team wird es herausfinden.“ Die Betonung liegt hier auf dem Wort „noch“. Und das war es auch, was ich erwiderte. Im Anschluss daran haben wir unterschiedliche Team-Topologien erarbeitet und sie gegeneinander abgewogen. Am Ende hat das Team eine für sich passende Aufteilung gefunden.

Agiles Arbeiten setzt sich durch, da wir in einer Welt voller Überraschungen leben. Wie sich die Zukunft entwickelt, kann niemand vorhersehen. Sich einzugestehen, dass wir etwas nicht wissen, und gleichzeitig auf die Intelligenz der Gruppe zu vertrauen, hält die Türen für einen weiteren Dialog offen.

Mantra 3: Super, ich kann etwas Neues lernen.

Passen Holokratie und Scrum zusammen?

Betrachten wir Holokratie und ihre Verfassung und Regeln genauer, sehen wir, dass Holokratie und Scrum sich nicht so einfach ergänzen. Auf den ersten Blick wirken sie fast identisch, aber die Tatsache, dass Holokratie eine Organisationsform ist und Scrum ein Rahmenwerk zur Produktentwicklung, offenbart viele Unterschiede: Es gibt keine Deadlines, es fehlt die Transparenz, wann Arbeit fertig ist, und das Tactical Meeting ist der Inbegriff eines schlechten Daily Scrums.

Als ich im Jahr 2019 mit Holokratie in Berührung kam, habe ich Holokratie erst einmal als Hindernis für den Erfolg von Scrum gesehen. Da ich den Holokratieverfechtern im Unternehmen aber nicht die Tür vor der Nase zuschlagen wollte, sagte ich mir: „Super, ich kann etwas Neues lernen.“ Ich habe dann die Ausbildung zum Holokratie-Facilitator gemacht und viele wertvolle Einblicke in die Arbeit als Facilitator erhalten.

Ich denke, das Mantra „Super, ich kann etwas Neues lernen“ spiegelt die Grundhaltung jedes erfolgreichen Scrum Masters wider. Wenn wir die zukünftige Arbeitsweise im Unternehmen verbessern wollen, beginnt dies immer damit, alles über die aktuelle Arbeitsweise zu lernen. Nur wenn wir die aktuelle Situation verstehen, können wir wirklich wirkungsvolle Veränderungen anstoßen.

Veränderungen der Arbeitsweise sollten immer im Dialog geschehen. Um für diesen Dialog offen zu sein, murmele ich stets vor mich hin: „Jeder war mal ein Anfänger“, „Ich weiß noch nicht, wie, aber das Team wird es herausfinden“ und: „Super, ich kann etwas Neues lernen“.

Was sagst du dir, um Ratschlägen, Bewertungen und Vorurteilen offen zu begegnen?

 

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