In den letzten Beiträgen habe ich dir bereits gezeigt, wie du deine Workshops gestalten kannst, indem du Methoden aus dem Buch „Training from the Back of the Room“ von Sharon Bowman anwendest. Es ging darum, langweilige Einführungen zu vermeiden und den Workshop auf unvergessliche Weise abzuschließen.

Diesmal zeige ich dir, wie du die 4-Cs-Karte aus „Training from the Back of the Room“ nutzen kannst. Du kannst sie verwenden, um deine Sprint Retrospektive so zu gestalten, dass sie das Team zum Lernen und aktiven Teilnehmen einlädt.

Lass uns mit einer allgemeinen Beschreibung der 4-Cs-Karte beginnen. Danach beschreibe ich ein konkretes Beispiel einer Sprint Retrospektive, die ich vor einiger Zeit durchgeführt habe.

Wie ist die 4-Cs-Karte aufgebaut?

Die 4-Cs-Karte ist wie eine Landkarte.

Sie zeigt dir und den Teammitgliedern in der Retrospektive oder Lerneinheit, wo sich das Ziel befindet sowie den Weg, um dorthin zu kommen. Vereinfacht gesagt: Die Karte besteht aus einem Lernziel und vier Schritten, den 4 Cs, um dieses Ziel zu erreichen.

Hier die 4 Cs im Detail:

Connection/Verbindungen:

Das erste C steht für „Connection“. Es steht für die Eröffnung deiner Retrospektive. In diesem Schritt stellen die Teilnehmer die Verbindungen zu dem her, was sie bereits über die Situation oder das Thema wissen. Darüber hinaus stellen sie eine Verbindung zu den anderen Mitgliedern im Team her und dem, was sie lernen oder entdecken wollen.

Concept/Konzepte:

Während des Schritts „Konzepte“ nehmen die Teilnehmer neue Informationen über unterschiedliche Sinneskanäle auf. Dazu gehören Hören, Sehen, Anfassen, Diskutieren, Schreiben, Nachdenken, Vorstellen, Mitmachen und Weitergeben an andere.

Wenn du mehr darüber erfahren willst, wie du die unterschiedlichen Sinneskanäle der Teammitglieder in Workshops, Trainings und Meetings konkret ansprechen kannst, dann wirf einen Blick auf diesen Artikel: 6 Trümpfe: Wie du die Interaktivität von Onlineworkshops so steigerst, dass die Teilnehmer noch lange davon schwärmen

Concrete Practice/Konkrete Praxis:

Im Schritt „Konkrete Praxis“ geht es um die aktive Einübung oder Überprüfung der Information. Dieser Schritt sollte auf den „Konzepte“-Schritt folgen. Während des Schritts der konkreten Praxis üben die Teammitglieder aktiv eine neue Fähigkeit unter Verwendung der neuen Informationen aus dem vorherigen Schritt. Dadurch nehmen sie an einer aktiven Überprüfung des Gelernten teil und bringen wiederum anderen bei, was sie wissen oder jetzt umsetzen können.

Conclusion/Schlussfolgerungen:

Der letzte Schritt ist der Abschluss der Retrospektive. Die Teammitglieder bewerten das Gelernte oder verpflichten sich, es im nächsten Sprint anzuwenden. Dieser Schritt sollte immer mit einer kurzen Feier des erarbeiteten Wissens enden.

Wenn du mehr über die Schritte und dessen Anwendung außerhalb der Sprint Retrospektive lesen willst, dann schaue dir diesen Artikel an: Lernen bedeutet nicht wissen! 4 Schritte, um in Schulungen jeden einzubeziehen und der reinen Wissensvermittlung den Rücken zu kehren

Nachdem du nun die Schritte der 4-Cs-Karte kennst, stelle ich dir vor, wie du damit eine Sprint Retrospektive gestalten kannst.

Die Ausgangssituation der Sprint Retrospektive: „Die Arbeit wird am Ende des Sprints nicht fertiggestellt“

Ich habe in meinen Notizen geblättert und eine Aufzeichnung über eine spannende Sprint Retrospektive gefunden.

Die Retrospektive habe ich anhand der 4-Cs-Karte gestaltet. Damals habe ich folgende Situation vorgefunden: Über mehrere Sprints beobachtete ich, dass das Team viele Einträge des Sprint Backlogs nicht zum Sprintende abgeschlossen hatte. Da es in den vorangegangen Sprint Retrospektiven nie zur Sprache kam, dass es vielleicht ein Problem darstellt, wollte ich diese Situation genauer in einer Retrospektive beleuchten. Da niemand gerne Ratschläge bekommt oder belehrt wird, mache ich das als Scrum Master auch nicht. Wir sollten nie vergessen, dass auch Ratschläge Schläge sind. Statt das Team zu belehren, versuche ich lieber ähnliche Situationen zu erstellen, bei denen das Scrum Team die Möglichkeit hat, seine eigene Situation zu beleuchten, zu reflektieren und Verbesserungen für seine Arbeitsweise abzuleiten. Konkret war mein Ziel, dass das Scrum Team folgenden Zusammenhang versteht:

Je mehr Product-Backlog-Einträge in Bearbeitung sind, desto länger dauert es, die einzelnen Einträge anzuschließen.

Zur Veranschaulichung dieses Zusammenhangs habe ich mit dem Team das Penny Game von Geoff Watts gespielt. Geoff Watts ist bekannt als Autor des Buches „Scrum Mastery“.

Nun die Retrospektive im Detail:

Die Sprint Retrospektive Schritt für Schritt erklärt

C1: Verbindung herstellen

Damit das Team das Penny Game spielen und im Anschluss auch einige Learnings festhalten konnte, musste ich einige Begriffe einführen. Da ich davon ausging, dass bereits einiges bekannt war, bot die Erklärung der Begriffe einen guten Startpunkt, um eine Verbindung zwischen den Teammitgliedern, aber auch dem Inhalt der Sprint Retrospektive herzustellen.

Die Einleitung zu Beginn der Retrospektive lautet deshalb:

„Was weißt du bereits über die Begriffe ‚Work in Progress‘, ‚Durchlaufzeit‘ und ‚Durchsatz‘?“

Ich habe den Teilnehmern einige Minuten Zeit gegeben, sich mit ihren Tischnachbarn über diese Begriffe auszutauschen.

C2: Konzept erklären

Im Anschluss daran habe ich die Begriffe kurz vorgestellt, indem ich auf das Vorwissen der Teammitglieder zurückgegriffen und die Definition auf einem Flipchart festgehalten habe.

Work in Progress (WIP): Die Menge begonnener, aber nicht abgeschlossener (paralleler) Product-Backlog-Einträge

Durchlaufzeit: Die Zeitspanne, die zwischen dem Beginn der Arbeit an einem Product-Backlog-Eintrag und dem Abschluss einer Arbeit vergeht.

Durchsatz: Die Menge abgeschlossener Product-Backlog-Einträge pro Sprint

Der Schlüssel, um den Fluss der Product-Backlog-Einträge durch den Entwicklungsprozess zu verstehen und zu steuern, ist der mathematische Zusammenhang, der als „Littles Law“ bekannt ist. Dieses Gesetz besagt, dass für einen bestimmten Prozess mit einem bestimmten Durchsatz im Allgemeinen gilt:

Je mehr Sachen man zu einem bestimmten Zeitpunkt (im Durchschnitt) bearbeitet, desto länger dauert es, diese Sachen (im Durchschnitt) zu beenden.

Als Formel lässt sich das so festhalten:

durchschnittliche Durchlaufzeit = durchschnittliche WIP / durchschnittlicher Durchsatz

Mit dieser Formel können wir gleich mal etwas herumspielen und einfache Folgerungen ziehen. Da es mir um diese Folgerung in der Sprint Retrospektive ging, habe ich sie auch dem Team vorgestellt.

Sie lautet:

Wenn wir annehmen, dass das Scrum Team immer etwa gleich viele Einträge pro Sprint erledigt, dann können wir ablesen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Durchlaufzeit und der Anzahl der Work in Progress besteht. Was bedeutet dies für die Durchlaufzeit? Es bedeutet, wenn nur wenige Einträge parallel bearbeitet werden, dann werden diese schneller abgeschlossen. Und schnell abgeschlossene Product-Backlog-Einträge bedeuten ein schnelleres Feedback darüber, ob die Einträge Wert stiften.

Wie gesagt, bin ich kein Freund von Belehrungen oder Ratschlägen und deshalb wollte ich, dass das Team diesen Zusammenhang selbst erfahren kann. Und deswegen spielten wir das Penny Game als Nächstes:

C3: Konkrete Praxis

Vorbereitung für das Penny Game

Das Team sollte sich in Gruppen von nicht mehr als 7 Teilnehmern aufteilen. Perfekt ist eine Gruppengröße zwischen 5 und 7. In jeder Gruppe haben wir eine Person, die der Kunde ist, eine Person, die der Zeitnehmer ist und alle anderen sind die Arbeiter. Der Kunde bekommt 20 Centstücke.

Regeln

Wenn ich „Los“ sage, dann gibt der Kunde die Centstücke in einer bestimmten Anzahl an die Person weiter, die das Team als ersten Arbeiter bestimmt hat. Der erste Arbeiter dreht mit seiner nicht dominanten Hand jeden Cent des Stapels einzeln um. Sobald alle Centstücke umgedreht sind, kann der erste Arbeiter an den zweiten Arbeiter weitergeben. Die Arbeiter können die Centstücke weitergeben, wie sie wollen, solange sie beim Umdrehen nur ihre nicht dominante Hand benutzen. Zweiter Arbeiter, gleiches Vorgehen: alle Centstücke einzeln umdrehen und an den dritten Arbeiter weitergeben usw. Wenn der letzte Arbeiter alle Münzen umgedreht hat, gibt er sie an den Kunden zurück. Der Zeitnehmer erfasst die gesamte Zeit.

Runde 1:

In der ersten Runde gibt der Kunde alle 20 Centstücke an den ersten Arbeiter weiter. Der Zeitnehmer startet die Uhr und das Spiel beginnt. Wenn alle Centstücke wieder dem Kunden übergeben wurden, wird die Zeit gestoppt.

Als alle Gruppen fertig waren, habe ich die Zeiten für jede Gruppe auf einem Flipchart notiert.

Runde 2:

In dieser Runde teilt der Kunde die 20 Centstücke in 4 Stapel zu je 5 Stück auf. Wenn ich „Los“ sage, dann gibt der Kunde den ersten 5er-Stapel an den ersten Arbeiter weiter. Der erste Arbeiter dreht alle fünf mit seiner nicht dominanten Hand um und gibt dann alle fünf an den zweiten Arbeiter weiter. Wenn der erste Arbeiter mit dem ersten Stapel fertig ist, kann der Kunde sofort den zweiten Stapel an den ersten Arbeiter weitergeben und so weiter.

In dieser Runde misst der Zeitnehmer zwei Zeiten: Die gesamte Zeit sowie die Zeit der Bearbeitung der einzelnen 5er-Stapel.

Nachdem alle Gruppen fertig waren, habe ich die Zeiten für die einzelnen 5er-Stapel und die Gesamtzeit für jede Gruppe notiert.

Runde 3:

In der letzten Runde bekommt der Kunde die 20 Centstücke in 20 Stapeln zu je 1 Stück.

Wie zuvor misst der Zeitnehmer zwei Zeiten und ich notierte am Ende die Zeiten der Gruppen.

Hier findest du das Penny Game noch mal als Video:

C4: Schlussfolgerungen ziehen

Nach diesen drei Runden hatten wir eine Tabelle mit den einzelnen Zeiten der Gruppen. Diese Daten dienten uns als Grundlage, um Schüsse zu ziehen und Einsichten für unsere Arbeit im Team abzuleiten.

Ich habe diesen Schritt mit den folgenden Fragen eingeleitet:

Was habt ihr beobachtet?
Hat sich das Gesetz von Little bestätigt?
Was sind die Vor- und Nachteile davon, wenn wir 20 Product-Backlog-Einträge gleichzeitig beginnen?

Unser Team kam damals zu folgenden Einsichten:

Je kleiner der Stapel an Centstücken ist, desto schneller bekommt das Team Feedback vom Kunden.
Werden alle Centstücke auf einmal einem Arbeiter übergeben, dann müssen die Arbeiter am Ende des Prozesses sehr lange warten, bis sie etwas arbeiten können.
Wir der Gesamtstapel in kleine Stapel geteilt, müssen die Arbeiter ständig konzentriert und bereits sein, zu arbeiten, andernfalls halten sie den Prozess auf.

Die letzte Handlung in unserer Sprint Retrospektive bestand darin, eine Verbesserung für den nächsten Sprint zu definieren. Wir haben uns damals dafür entschieden, am Anfang des Sprints nicht mit der Bearbeitung aller Einträge des Product Backlogs auf einmal zu starten.

Dieser Praxisbericht gibt dir ein einfaches Vorgehen an die Hand, die 4-Cs-Karte, welches dir erlaubt, Sprint Retrospektiven so zu gestalten, dass sie zum Lernen und Mitmachen einladen.

Wenn du den Wert in „Training from the Back of the Room“ siehst und noch weitere Methoden und Techniken lernen willst, dann empfehle ich dir den Besuch meines „Training from the Back of the Room“-Trainings.

 

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